Der Drachenmann – Michael Steinemer auf Fuerteventura.
Vor meinem Besuch bei Michael Steinemer wusste ich nicht so viel über das Drachen steigen. Ich erinnerte mich an meine Kindheit, wie wir damals selbst Drachen aus dicken Baumzweigen und Papier bastelten und natürlich auch an meinen ersten „Plastik-Drachen“ – ein Adler. Ich wußte jedoch nicht, daß schon Buffalo Bill, der legendäre Cowboy, Büffel-Jäger und Goldsucher ein professioneller Drachenbauer war. Samuel Franklin Cody – so sein bürgerlicher Name – war der Erfinder des patentierten „Cody Drachens“, der in die Geschichte einging. Ein Drachen, der schon damals einen Menschen in die Lüfte transportieren konnte.
„Der Wind ist die älteste Stimme der Welt“ – dieses Zitat wird dem amerikanischen Biologe und Schriftsteller Donald Culross Peattie zugeschrieben und wer über den Wind nachdenkt, kommt natürlich nicht an Christian Morgensterns Windgespräch vorbei.
Windgespräch
Hast nie die Welt gesehn?
Hammerfest – Wien – Athen?
„Nein, ich kenne nur dies Tal.
bin nur so ein Lokalwind –
kennst du Kuntzens Tanzsaal?“
Nein, Kind.
Servus! Muß davon!
Köln – Paris – Lissabon.
Der Wind und die Sehnsucht das ist wie der Wind und Fuerteventura. Sie gehören zusammen wie das Salz und das Meer, das Meer und die Surfer, die Surfer und das Kiten, das Kiten und die Drachenfliegerei...und last but not least wie Michael Steinmer und das Drachen bauen.
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Eines ist sicher – ob Windsurfer oder Kitesurfer – ohne den Wind und die Drachenfliegerei gäbe es diese beliebten Wassersportarten nicht. Denn gerade das Kitesurfen ist schließlich nichts anderes als das Surfen mit einem Drachen. Angeblich wurde es in den 90er Jahren auf Hawai erfunden, als es nicht genügend Wind zum Surfen gab und ein gelangweilter Surfer sich einen Drachen nahm und mit ihm über den Ozean schwebte. Das war offensichtlich ein Erlebnis, das ein derart erhöhtes Fun- und Suchtpotential bot, dem sich sozusagen in Windeseile auch andere begeisterter Kite-Surfer hingeben mussten.
Michael Steinemer aus Tarajalejo ist kein Kitesurfer und er hat auch mit dem Surfen nichts am Hut. Seine Liebe und Leidenschaft gilt den Drachen auf dem Festland, insbesondere den Lenkdrachen.
„Ich bin ein Drachenflieger“ sagt er von sich selbst und erzählt mir von seiner ganz eigenen Geschichte, die in den 80 Jahren in St. Peter Ording begann. Zuerst mit einer TV-Dokumentation über Drachen, die zufällig sein Interesse fand und seinem ersten Drachen, den er sich daraufhin sofort erwarb. Gleich zog es ihn hinaus und bei jeder Menge Wind ging es Michael zunächst allein um ein erstes Kräftemessen. „Zuerst begeisterte mich nur die Power. Ich wollte ordentlich Zug haben. Mich hat es einfach gepackt, diese irre Kraft zu spüren und zu kontrollieren.“
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Ich wusste schon vor unserem Gespräch, dass Drachensteigen kein Sport für Weicheier ist. Auf den internationalen Lenkdrachen-Wettbewerben wird sehr viel Können, Kraft und Technik verlangt und man kann dort mitunter spektakuläre Tricks und Moves sehen.
Der junge Drachenbändiger hatte dann auch ganz schnell Feuer gefangen und als er
Eddy kennenlernte, wurde schließlich alles anders. Eddy, das war Michaels erster Lenkdrache aus den USA. Heute ein legendärer Windvogel, der an die Form eines geschliffenen Diamanten erinnert. Als Michael seinen Eddy das erste Mal in den Händen hielt, spürte er schnell, daß es auch eine andere Seite in dieser Drachenwelt zu entdecken gab – eine Seite, die etwas mit Stil, mit Verstand, Geschick und auch mit einer gewissen Sinnlichkeit und Poesie zu tun hatte.
Lenkdrachen, das sind fantastischen Flugobjekte, die man mittels Leinen durch geschickte Bewegungen lenken und steuern kann. Ob Kreise, Schrauben oder Loopings, die Lenkdrachen sind vielseitig und können überall fliegen – am Strand von Fuerteventura genauso wie auf der Wiese zu Hause und das zu jeder Jahreszeit.
Ob Michael bei seinen ersten Stunden mit Eddy das Lied „Love is in the Air“ summte, das ist allein meiner Fantasie vorbehalten. Passen würde es irgendwie, denn in dieser Zeit arbeitet er hauptberuflich noch als Plattenverkäufer im Außendienst, für eine damals sehr erfolgreiche Firma. Das Geschäft brummte und der Job machte Laune und für alle jungen Leser unter uns hier noch rasch der passende Link, worum es sich bei Schallplatten eigentlich handelt.
Wieso auch immer, aber während unseres Gespräches habe ich plötzlich folgendes Bild vor meinem geistigen Auge: Ich sehe Michael vor einem alten Trichtergramophon am Strand von Fuerteventura stehen. Während man Zarah Leander singen hört „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“, lässt Michael seinen Eddy von damals in den Wind aufsteigen und im Hintergrund sehen wir die Kitesurfer mit ihren bunten Drachen über die Wellen springen. Ein schönes Bild, zweier so unterschiedlicher Welten deren Geschichte doch so untrennbar miteinander verbunden sind.
Es gibt viele Wege wie der Mensch zum Lenkdrachen kommt. Bei Michael war es sicherlich ein Zufall, dem jedoch rasch ein gesteigertes und letztendlich auch sehr professionelles Interesse an der Kunst des Drachenfliegens folgte. Und so war es dann eigentlich auch kein Zufall mehr, dass er irgendwann von dem Besitzer des Drachengeschäftes, in dem er längst Stammkunde war, gefragt wurde was er denn beruflich so machen würde. Als er sich als erfolgreicher Verkäufer im Musik-Business outete, dauerte es auch gar nicht mehr lange, bis er eine interessante Offerte erhielt, einfach die Branche wechselte und viele Jahre im Außendienst für die „Wolkenstürmer“ arbeitet – der erste Drachenladen Deutschlands.
Während Michael nun mit dem Verkauf von Drachen seinen Lebensunterhalt verdiente, widmete er gleichzeitig jede freie Minute seinen eigenen Drachen. Schon bald nahm er erfolgreich an ersten Meisterschaften teil und gründete sogar sein eigenes Lenkdrachen-Team (u.a. Vizes-Weltmeister in England). Besondere Anerkennung erhielt er jedoch mit seinen beliebten „Nachtgeschichten“ und „Himmelsmärchen“ für Kinder, die Deutschlandweit aufgeführt wurden. Auf Freiluftfestivals wurden bekannte aber auch eigene Märchen und Geschichten mit eigens dafür gebauten Drachen am Nachthimmel erzählt, begleitet von einer ausgetüftelten Lichtkunst (umgebaute Auto-Scheinwerfer) und passendem Soundeffekten. Sinnlichkeit und Poesie – da ist sie wieder, die eine, ganz besonders fantasievolle Seite des Drachenfliegens.
Es gäbe noch viel zu erzählen über Michael und seine Drachen, aber das könnt ihr ja gerne auch einmal persönlich recherchieren. Für mich bleibt an dieser Stelle noch zu erwähnen — wieso es ihn nach Fuerteventura zog? Irgendwann besuchte Michael, wie so viele von uns Deutschen, die wir heute Fuerteventura leben und arbeiten, als Tourist das erste Mal dieses trockene Fleckchen Erde in den Weiten des Atlantiks. Und es mag ja erneut alleine meiner Fantasie entspringen, aber ich bin mir sicher, es war der Wind, der ihm ins Ohr flüsterte und ihm neue Flausen in den Kopf setzte. Denn schon bald nach seiner Rückkehr in Deutschland, zog es Michael mit Sack und Pack nach Fuerteventura, wo er zunächst in Valles de Ortega seine Werkstatt für Lenk-Drachen eröffnete und gleichzeitig auch Kurse zum Lenkdrachen bauen und fliegen anbot.
Michael lacht: „Damals hielten die Einheimischen mich, obwohl verheiratet und mit meiner Frau auf der Insel lebend, für schwul. Sie hatten bis dato noch nie einen Mann an der Nähmaschine gesehen. Das kam ihnen seltsam vor.“ Seine Nähmaschine steht natürlich immer noch in seiner Werkstatt und ich gebe zu, mir vorzustellen wie der große und breitgebaute Mann, ein echter Kerl wie man so sagt, an seiner Nähmaschine sitzt, hat auch für mich etwas rührseliges.
Heute finden sich in Michaels Werkstatt viele seiner Drachen und man spürt förmlich die Energie, die von ihnen ausgeht. Keine billigen Exemplare und keine Discounterware, die man aus dem Supermarkt kennt, nein, alles handgefertigte Drachen und individuelle Einzelstücke. Sie wollen hinaus, in die Luft empor steigen, sich mit dem Wind messen, und vielleicht sogar ein Stück weit nach den Sternen greifen.
Auf vielen Drachenfestivals in der Welt lassen sich heute spektakuläre Drachen-Exemplare bestaunen. Nicht nur in der Drachenhauptstadt der Welt Weifang (China), sondern auch in Malaysia, in Frankreich oder auf der Insel Fanø in Dänemark. Dort ist auch Michale reglmäßig zu finden. Bekannte Festivals in Deutschland finden sich in Travemünde, Lünen, Kamen, Cuxhaven und in St. Peter-Ording. Längst haben dort auch Tintenfische, Kühe, Affen, Schneeflocken und Außerirdische die Luft erobert. Der Himmel dient weltweit einer zunehmenden Anzahl von Amateuren und Profis als eine unendliche Leinwand für ihre individuelle und kreative Drachenbaukunst.
Falls Du Interesse an dieser Welt findest und sogar lernen möchtest, wie man einen Drachen baut, dann bist Du bei Michael gut aufgehoben. Denn er baut nicht nur Drachen und nimmt individuelle Auftragsarbeiten an, er teilt auch gerne sein Wissen in praktischen Kursen, u.a. auch in Zusammenarbeit mit einigen Hotelanlagen, in denen er mit Kindern zusammen, in ihrem Urlaub, Drachen baut, die sie dann auch gleich, im Wind von Fuerteventura, ausprobieren können.
Ein einzigartiges Event und Urlaubserlebnis, das Eltern, ob Hotelgäste oder Finca-Urlauber, jederzeit auch privat und direkt bei Michael oder gerne auch über mich, deine-kanaren@canariasol.de, anfragen und auch buchen können. Das kostet natürlich etwas – ist aber von unschätzbarem Wert und bietet einen echten Fun-Faktor nicht nur für Kids.
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Der Wind ist einfach seine Welt und so überrascht es wohl kaum, daß ich in seiner Werkstatt und auf der Terrasse seines Hauses auch andere Dinge bewundern kann. Handgefertigte Windspiele wie auch Mobiles, natürlich mit Bezug zu Fuerteventura und dem Meer. Das setzt natürlich eine gewisse Fertigkeit voraus und so erfahre ich von seiner Lehre als Goldschmied, die er als junger Mann abgeschlossen hatte. Als mein Blick dann noch auf ein großes Sonnensegel fällt, dass auf seiner Terrasse angebracht ist und angenehmen Schatten spendet, kann ich mir die Frage im Grunde ersparen. Natürlich – auch das gehört zu seinem Handwerk, das er auf Fuerteventura Privatleuten aber auch Geschäften jederzeit gerne anbieten kann.
Nach meinem Besuch bei Michael steht fest – für seine ganz besondere und sehr individuelle Handwerkskunst mache ich hier sehr gerne Werbung und für so einen angenehmen Zeitgenossen erst Recht.
Eine wunderbare Welt tut sich hier auf – zu der ich jeden Leser gerne einladen möchte. Eine Welt, die so wohltuend anders ist als die Massenware, die sich im China-Markt und bei anderen Grosshändlern um die Ecke auftürmt. Ich bin mir sicher – wer eine ganz besondere, eigene Idee für einen Drachen, ein Windspiel oder ein Mobile hat, der wird bei Michael immer ein offenes Ohr finden.
Eine gute Möglichkeit, die Welt der Drachen gleich live zu entdecken und auch mit Michael persönlich ins Gespräch zu kommen, bietet sich übrigens auch auf dem Drachenfestival 2016 auf Fuerteventura an, das seit 1987 regelmässig in Dünen von Corralejo stattfindet; dieses Jahr vom 10. bis zum 13. November. Schöne Stimmungsberichte finden sich in der Zeit Online sowie auch hier von Michael persönlich hier.
Nach unserem Gespräch sehe ich das Drachen steigen lassen mit neuen Augen. Was ein schönes Hobby, bei dem man viel Zeit im Freien verbringen und auch seiner Kreativität freien Lauf lassen kann. Wer meint, das sei nur etwas für Kinder irrt gewaltig – wie man auch auf diesem Video sehen kann, das Michael auf facebook gepostet hatte. Und daß sich Michael als gelernter Goldschmied immer wieder auch für neue Ideen interessiert, zeigt z.B. auch dieser Link, den er neulich teilte.